Die Zukunft Liechtensteins in Europa
Die Stiftung für Ordnungspolitik und Staatsrecht hat gestern eine umfassende Studie mit dem Titel «Die Zukunft Liechtensteins in Europa. Ordnungspolitische Argumente und Modelle für mehr Subsidiarität und flexible Integration» vorgestellt und in Buchform veröffentlicht.
Die Studie umfasst 225 Seiten. Die Hauptkapitel befassen sich mit der Einbettung Liechtensteins in die Europäische Integration (vor allem über den EWR); den ökonomischen und politischen Kosten und Nutzen der Integration und der politischen Ökonomie der Zentralisierung. Herausgestellt wird dabei die ordnungspolitische und staatsrechtliche Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips und der Möglichkeiten flexibler Integration der «Willigen und Fähigen» innerhalb der EU und im Verhältnis zu Drittstaaten. In beiden Bereichen werden zahlreiche Reformvorschläge präsentiert und anhand ihrer politischen Machbarkeit sowie ihrer Bedeutung für Liechtenstein eingeordnet.
Hinsichtlich der Zukunft Liechtensteins in Europa kommt der Autor zum Schluss:
- Liechtenstein hat mit dem EWR den ‘Club’ gefunden, der den Präferenzen und Möglichkeiten eines ‘willigen und fähigen’ Landes entspricht, das als Kleinstaat in besonderer Weise auf offene Märkte angewiesen ist und zugleich auf die Bewahrung seiner Souveränität in subsidiären Angelegenheiten achten muss.
- Eine geschwächte und an sich selbst zweifelnde EU kann ebenso wenig im Interesse des Landes sein wie eine EU, die unbeirrt immer weiter auf dem Weg der ‘one-size-fits-all-ever-closer-Union’ einen regulatorischen Besitzstand anhäuft, der als ‘EWR-relevant’ erklärt und damit für das Fürstentum zur ökonomisch (compliance costs) wie politisch (Souveränitätskosten) zunehmenden Belastung werden könnte.
- Die EU dürfte eher innerhalb der Mitgliedschaft ihres eigenen Clubs Zugeständnisse in Richtung Subsidiarität und Differenzierung machen als im Verhältnis zu EU-Drittländern, etwa im EWR. EU-interne Reformen hätten ‘EWR-Relevanz-Relevanz’ dadurch, dass sich Umfang, Art und Qualität der EU-Rechtsakte verbessern könnten. Radikalere Reformen des EWR selbst dagegen bieten neben Chancen auch Risiken bis hin zum Kollabieren des Abkommens.
- Bei den meisten der (vor allem in Grossbritannien und der Schweiz) diskutierten EWR-Reformvorschläge geht es darum, den EWR/EFTA-Staaten bessere Mitentscheidungsrechte und mehr Möglichkeiten einer Beschränkung der Personenfreizügigkeit einzuräumen. Diese sind zwar oft ordnungs- und demokratietheoretisch gut begründet. Sie könnten aber auch erhebliche Risiken für Liechtenstein (und den EWR) mit sich bringen.
- Sie würden Änderungen des EWR- und wohl auch EU-Primärrechts erfordern. Dass es hierzu kommt, ist unwahrscheinlich angesichts der Ratifizierungserfordernisse in 31 Vertragsstaaten mit Vetooptionen. Wie die Brexit-Verhandlungen zeigen, dürfte die EU den Zugang zu ‘ihrem’ Binnenmarkt deutlich erschweren, wenn Drittländer den relevanten acquis nicht voll übernehmen und / oder die Freizügigkeit nicht voll gewähren wollen.
- Sollten Reformen in dieser Richtung dennoch erfolgreich sein, würde der EWR möglicherweise «allzu attraktiv» für (noch) EU-Mitglieder wie Grossbritannien oder andere Länder aus der europäischen Nachbarschaft. Dies könnte zu einer «Überdehnung» des EWR und seiner Fähigkeit, «mit einer Stimme» zu sprechen führen, und die Funktionsfähigkeit des EWR gefährden.
Liechtenstein und der EWR waren bisher weitgehend ‘unter dem Radar’ politischer Aufmerksamkeit und Aufregung in Europa. In dieser integrationspolitischen Nische konnte sich das Land bisher gut einrichten. Das könnte sich im Laufe möglicher weiterer Turbulenzen in Europa ändern. Hierauf sollte sich das Land einrichten.
Die Zukunft Liechtensteins in Europa
Diese Studie analysiert Szenarien für die weitere Entwicklung der EU und deren mögliche Auswirkungen auf Liechtenstein. Die Mitgliedschaft im EWR (bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des Zollvertrags mit der Schweiz) ist für das kleine Fürstentum eine wesentliche Voraussetzung für seine Prosperität. Gleichzeitig könnte Liechtenstein davon profitieren, wenn sich die EU weg von Zentralisierung und Harmonisierung und hin zu mehr flexibler Integration (z.B. „variable Geometrie“) weiter entwickeln würde.